3. März 2000

TIBET INFORMATION NETWORK

City Cloisters, 188-196 Old Street, London EC1V9FR,
ph: +44(0)207 814 9011, fax +44(0)207 814 9015, e-mail: tin@tibetinfo.net, www. tibetinfo.net

Der Tod des grossen Gelehrten und Patrioten Gungthang Rinpoche

Einer der ältesten und geachtetsten religiösen Lehrer, die noch in Tibet übrigblieben, Gungthang Rinpoche, der Abt von Kloster Labrang Tashikyil in der Provinz Gansu (ehemals in dem nordöstlichen Amdo) starb am 29. Februar, einen Tag nachdem er aus dem Krankenhaus, wo er wegen einer Krebserkrankung behandelt wurde, in sein Kloster zurückgekehrt war. Gungthang Rinpoche, der Anfang siebzig war, war wegen seiner Weigerung, die chinesische Wahl des Panchen Lama anzuerkennen und seiner Loyalität dem Dalai Lama und den Grundsätzen des tibetischen Buddhismus äußerst populär unter den Tibetern. Weil er nicht mit den Chinesen nach deren Invasion Tibets in den 50er Jahren kooperieren wollte, verbrachte er über 20 Jahre im Gefängnis. "Sein Tod ist ein großer Verlust, der die religiöse und die politische Lage in Tibet beeinträchtigen wird", sagte Alag Tsaye Rinpoche, ein ehemaliger Sicherheitsminister der tibetischen Exilregierung und enger Freund des Rinpoche seit über 50 Jahren. "Gungthang Rinpoche war ein großer Buddhistischer Gelehrter und aufrichtiger Patriot, der immer die Interessen des tibetischen Volkes im Herzen trug", fügte er hinzu.

Gungthang Rinpoche, der im Februar 1926 in Dzoge, TAP (Tibetisch Autonome Präfektur) Ngaba (chinesisch: Aba) in Sichuan geboren wurde, war der zweithöchste Lama in Labrang Tashikyil, einem der wichtigsten Klöster in der traditionellen tibetischen Provinz Amdo. In den letzten Jahren war er nur noch sporadisch in seinem Kloster zwischen seinen Krankenhausaufenthalten zur Krebstherapie in Lanzhou, der Hauptstadt der Provinz Gansu, und in Peking. Inoffiziellen Quellen zufolge ließen die Behörden nicht zu, daß er im Ausland eine Spezialbehandlung suchte.

Gungthang Rinpoche, der als die 6. Inkarnation von Konchog Tenpai Dronmey (1762-1823) erkannt wurde, genoss große Achtung wegen seiner Hingabe an den Dalai Lama, seinem Engagement für die Sache der Erziehung in Tibet (eine tiefe Sorge, die er mit dem ebenfalls aus Amdo stammenden 10. Panchen Lama teilte), seiner religiösen Gelehrsamkeit und seiner Weigerung, die chinesische Wahl der Panchen Lama zu akzeptieren. Er begleitete auch öffentliche Ämter als ein ständiges Mitglied der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes und als Vizepräsident der Buddhistischen Vereinigung Chinas, aber wenige Monate nach dem Tod des 10. Panchen Lama im Januar 1989 wurde nach einem Treffen in Peking klar, wo seine wahre Loyalität lag. Alag Tsaye Rinpoche, der im Exil in Indien lebt, zufolge hielt Gungthang Rinpoche bei diesem Treffen hoher Lamas in Peking eine heftige Rede: "Gungthang Rinpoche sagte, er hoffe, daß der Dalai Lama die neue Inkarnation des Panchen Lama getreu der historischen Gepflogenheit des tibetischen Volkes anerkennen wird. Er fügte hinzu, daß das tibetische Volk eine andere Inkarnation nicht anerkennen würde. Er hoffe auch, daß es keine zwei Inkarnationen des Panchen Lama geben würde. Nach dieser Rede änderten die Chinesen ihre Einstellung ihm gegenüber."

Alag Tsaye Rinpoche, der zu gleicher Zeit wie Gungthang Rinpoche Ende der 50er Jahre eingesperrt war und 1987 aus Tibet entkam, sagte, daß der Rinpoche wegen seiner vorausschauenden Kommentare von den Chinesen bestraft worden sei. "Gungthang Rinpoche wurde eine Zeitlang in einem Hotel in Peking festgehalten, ohne daß er Besucher empfangen durfte. Dann wurde er in sein Kloster nach Lanzhou zurückgebracht, aber auch dort wurden die Besuche bei ihm eingeschränkt.

Gungthang Rinpoche verweigerte die Unterstützung der Regierungskampagne zur Diskreditierung des Dalai Lama, nachdem dieser im Mai 1995 Gendun Choekyi Nyima als Panchen Lama anerkannt hatte. Der Rinpoche weigerte sich ebenfalls, den im November 1995 von den Chinesen erkorenen Knaben Gyaltsen Norbu, der jetzt 9 Jahre alt ist, zu akzeptieren. Daraufhin geriet er unter heftigen Druck der Obrigkeit, weil das Labrang Kloster in Gansu nämlich eines der zwei Hauptklöster ist, die abgesehen von dem traditionellen Sitz des Panchen Lama in Shigatse mit ihm in Verbindung stehen. Das Kloster Kumbum in Qinghai gilt als das zweite Stammkloster des Panchen Lama. Der Abt von Kumbum, Agya Rinpoche, setzte sich 1998 in die USA ab und erhielt dort kürzlich politisches Asyl.

Der höchste Lama von Labrang Tashikyil, der 52-jährige Jamyang Zhepa, die 6. Inkarnation des Gründerlamas von Labrang (1709), wurde 1998 gegen seinen Willen gezwungen nach China zu gehen, um als Lehrer für Gyaltsen Norbu zu fungieren.

Gefangenschaft während der Jahre der "demokratischen Reform"

Gungthang Rinpoche erlitt über zwei Jahrzehnte lang ab 1958 Folterung, Hunger und Zwangsarbeit im Gefängnis. Hunderte von Mönchen von Labrang wurden nach der chinesischen Besetzung Tibets 1949/50, als in den tibetischen Gebieten von Amdo und Kham die Politik der "demokratischen Reformen" eingeführt wurde, zu jahrelanger Einschließung in Arbeitslager verurteilt. Die Kommunistische Partei, für welche das gesamte Kham und Amdo als direkt der gesetzlichen und politischen Jurisdiktion der Pekinger Regierung unterstehend galt, begegnete hart jedem Widerstand gegen die Einrichtung von chinesischen Verwaltungs- und Parteistrukturen in diesen Gegenden. Labrang Jigme, ein Kindheitsfreund von Gungthang Rinpoche, der nun in den Siebzigern ist und im Exil lebt, sagte TIN: "Die Leute in Labrang, meinem Heimatland, haben einen starken Willen und sind sehr ihrer Religion zugetan. Die Lamas und Mönche, die nicht den Chinesen willfahren wollten, bekamen die längsten Gefängnisstrafen. Gungthang Rinpoche weigerte sich sogar noch als er im Arbeitslager war, ihnen zu folgen und mußte deshalb sehr lange im Gefängnis bleiben."

Ein greiser Tibeter, der in den 50er Jahren in Labrang Tashikyil war und jetzt in Indien wohnt, erinnert sich an den Tag 1958, als Hunderte von Lamas und Mönchen verhaftet und ins Gefängnis geworfen wurden: "Die Chinesen kamen mit Gewehren bewaffnet ins Kloster und verhafteten alle Mönche. Wir wurden in Handfesseln gelegt, zusammen gebunden und in Lastwagen gepfercht, wobei jeder von 2-3 Soldaten bewacht wurde. Dann fuhren sie uns in drei verschiedene Gefängnisse und wiesen uns Zwangsarbeit zu. Von 1958 - 1960 starben so viele tibetische Gefangene an Hunger, übermäßiger Arbeit und Folter."

Während der Kulturrevolution, als Gungthang Rinpoche noch im Gefängnis war, fielen die Roten Garden über das Labrang Kloster her und zerstörten zahlreiche religiöse Artefakte, beschädigten Tempel und Schreine. Gungthang Rinpoches Sekretär, Ngawang Gyatso, wurde in dieser Zeit auch eingesperrt und gefoltert. In seinem Buch "Die Tragödie meines Heimatlandes" schreibt Alag Tsaye Rinpoche: "Im Juli 1960 drangen die Roten Garden mit großen Mao Bildern und roten Fahnen, die sie hoch über ihren Köpfen schwangen, trommel-schlagend in das Kloster ein... an einem Tag alleine zerstörten sie über 5000 Gebetsmühlen. Dann bemächtigten sie sich der heiligen Schriften und benützten sie zum Herstellen von Schuhen und als Einwickelpapier. Viele Gold- und Kupferstatuen buddhistischer Gottheiten, kostbare Baldachins, goldverzierte Banner, viele Ornamente und Edelsteine wurden nach China entführt. Sie schlugen die Tibeter und unterwarfen sie den thamzings (Kampfsitzungen)".

Kein Fortschritt für Tibeter ohne moderne Erziehung

Gungthang Rinpoche wurde 1979, einem Jahr, welches den Anfang einer kurzen Zeit der religiösen und kulturellen Liberalisierung in Tibet markierte, aus der Haft entlassen. Freunde berichten, daß sein Geist ungebrochen war. Er konzentrierte sofort wieder seine Energien darauf, herumzureisen, um Schulen zu gründen und Geld für den Wiederaufbau der vor und während der Kulturrevolution zerstörten Klöster zu sammeln. Labrang Jigme, der Gungthang Rinpoche zuletzt während eines Besuches in Tibet um 1980 sah, erzählte TIN: "Er reiste in den Provinzen Gansu und Qinghai von einem Ort zum anderen, sprach mit Nomaden und Bauern und überall mahnte er die Leute, daß sie ihre Kinder zur Schule schicken müßten, weil die Tibeter andernfalls keine Chance zum Fortschritt hätten."

Ein tibetischer Student aus Qinghai, der nun im Exil wohnt, sagte, daß Gungthang Rinpoche für die moralische und finanzielle Unterstützung, die er jungen Tibetern gewährte, bekannt war. Er spendete großzügig Geld für die Veröffentlichung von Büchern und Broschüren über tibetische Literatur, Kultur und Geschichte. "Er riet uns, eifrig für unsere Minderheit zu arbeiten, und sagte, daß unsere tibetische Kultur nicht nur für uns Tibeter, sondern für die ganze Welt wichtig sei, und daß wir sie daher bewahren sollten", berichtete der tibetische Student, der Gungthang Rinpoche 1996 vor seiner Flucht nach Tibet traf. "Wir sind Universitätsstudenten, weshalb wir auch andere ermahnen sollten, unsere Kultur zu schützen und nicht an wertlosen Gewohnheiten festzuhalten. Heutzutage sei es notwendig, eine nützliche moderne Erziehung zu bekommen. Er behandelte jeden auf die gleiche Weise und mit derselben Achtung."

Gungthang Rinpoche genoß große Popularität bei Nomaden und der Bevölkerung auf dem Land, wie auch bei Studenten und Lehrern. Gelegentlich vermittelte er bei Landdisputen unter den Nomaden, wie bei dem Streit um Weideland im Mai letzten Jahres, der zum Tod von fünf tibetischen Nomaden führte. Gungthang Rinpoche ging persönlich zu dem Ort, wo gekämpft wurde, und sprach mit den Leuten.

Gungthang Rinpoche gab auch viele Kalachakra Initiationen und andere Belehrungen, sowohl vor seiner Gefangennahme 1958 als auch nach seiner Entlassung. Tausende von Tibetern pflegten seine Belehrungen zu besuchen, was vielen lokalen Kadern ein Dorn im Auge war, denn sie wußten genau, welchen Einfluß der Rinpoche bei den Tibetern seiner Gegend hatte.

Tibeter berichten, daß immer wenn Gungthang Rinpoche in den letzten Jahren nach Labrang Tashikyil zurückkehrte, er von Sicherheitspersonal begleitet war. Diese Woche scheint er nur zum Sterben in sein Kloster gekommen zu sein. Als er das Krankenhaus verließ, konnte er vor Schwäche nicht mehr gehen, und sein Zustand verschlechterte sich rapide.

"Bei seinen Belehrungen betonte Gungthang Rinpoche die Notwendigkeit für Tibeter, Mitgefühl zu entwickeln und das Gesetz des Karma zu akzeptieren. Seine Worte vermochten wirklich unseren Geist und unsere Herzen zu wandeln. Gungthang Rinpoche war sowohl in tibetischer Religion als auch Kultur ein vollendeter Mensch; ich denke, sein Tod ist genauso tragisch für uns wie der Tod des 10. Panchen Lama", meinte der ehemalige tibetische Universitätsstudent.

nach oben